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LESEPROBE „STARGEFLÜSTER“

Küsse am Filmset

 

Der Anruf

Salomé de Bertrand löste nur unwillig ihren Blick von der Portfolioanalyse. Ihre Assistentin Keira stand in der Tür und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Er hat gesagt, es sei privat und wichtig“, rechtfertigte sie die Störung.

Salomé konnte sich gerade noch verkneifen, mit der Zunge zu schnalzen. Keira war die Tochter eines Ehepaares, das schon seit Jahren Hausmeisteraufgaben für die de Bertrands in einem der Wohnhäuser an der Park Avenue innehatte, und gab wirklich ihr Bestes, den Job als Salomés persönliche Assistentin zu erfüllen. Aber sie war einfach zu nett.  Sie hatte Salomé schon mehrfach Anrufer durchgestellt, die von der guten Margret, ihrer vormaligen Assistentin, bereits nach Nennung ihres Namens abgewürgt worden wären.

Nach einem kurzen Nicken zu Ted, von dem die Analyse stammte, verließ dieser diskret den Raum, und Salomé griff zum Hörer.

„Ja bitte?“ Zu ärgerlich, dass Keira vergessen hatte, ihr mitzuteilen, wer am anderen Ende der Leitung war.

„Salomé de Bertrand?“ Die samtene Stimme, und vor allem der charmante schottische Akzent, ließ die Erinnerung an die laue Sommernacht in Südfrankreich vor etwa einer Woche aufblitzen, in der sie heftig mit einem unglaublich attraktiven Kerl geflirtet hatte. Sollte er etwa …?

„Wer möchte das wissen?“ Salomé bemühte sich, ihre Stimme professionell klingen zu lassen. Ein leises Lachen ertönte in der Leitung, und ihr Herz erhöhte seine Schlagzahl.

„Wow. Das ist sehr sexy, wenn du die toughe Bankerin mimst, Zaza. Hier ist Nate Hamilton.“

Salomé räusperte sich. Er war es . Und er nannte sie bei ihrem Kosenamen Zaza, von dem nur ihre engsten Freunde und Familienangehörigen wussten. Und er. Unerklärlicherweise wurde sie noch aufgeregter. Mit zitternden Fingern strich sie sich durch ihr glattes schwarzes Haar und flüchtete sich in vermeintliche Coolness.

„Nate ... Hamilton? Hmm?“ Insgeheim freute sie sich diebisch, ihn zappeln zu lassen. „Ah, Nate! Ich erinnere mich. Du bist doch der Bruder von Colin. Du warst sein Begleiter bei der Geburtstagsfeier meines Vaters.“

Salomé vernahm ein leises Ächzen.

„Wenn du so willst. Der Bruder von Colin also.“

Salomé spielte ihr Spiel weiter und blieb still. Wieder hörte sie Nates leises Lachen, das ihre Knie weich werden ließ.

„Glaubst du, ich merke nicht, was du hier treibst, Salomé? – Ich bin für ein paar Tage in New York. Wir sind in Südfrankreich recht schroff von Colin“, er betonte den Namen seines Bruders bewusst, „unterbrochen worden.

Ich ...“

 Nate machte eine kurze Pause, und Salomé, immer noch zitternd vor Freude über seinen unerwarteten Anruf, wartete begierig auf seine nächsten Worte.

„… ich möchte dich gerne wiedersehen, Zaza.“


Obwohl sie damit gerechnet hatte, bewirkte Nates schlichter Satz, dass Salomés Herz wie ein Vogel in ihrer Brust flatterte. Bevor sie noch über eine Antwort nachdenken konnte, fuhr Nate bereits fort.

 

Bevor sie noch über eine Antwort nachdenken konnte, fuhr Nate bereits fort.

„Da gibt es ein kleines japanisches Restaurant in Chelsea, in das ich dich gerne entführen möchte. Wann und wo kann ich dich heute Abend abholen?“

Salomé fühlte sich etwas überrumpelt. Sie hatte eigentlich vorgehabt, den Abend in Ruhe in ihrem Apartment zu verbringen. Die Rückreise aus Südfrankreich, wo sie ihren Sommerurlaub mit ihren Eltern und ihrem Bruder Philippe auf dem familieneigenen Anwesen Mirabel verbracht hatte, und der enge Zeitplan der letzten Arbeitstage hatten sie ganz schön geschlaucht. Und morgen war in aller Herrgottsfrühe ein Frühstückstreffen mit Jonathan Hawk angesetzt, einem der aktuell begabtesten Fondsmanager.

„Heute Abend?“

„Ja, das ist etwas kurzfristig, ich weiß. Aber ich bin nur noch bis übermorgen in der Stadt, Zaza. Und morgen Abend habe ich eine berufliche Verpflichtung, die ich nicht absagen kann.“

Salomé sog die Luft ein. Sie war es als Geschäftsführerin einer Bank gewohnt, in geschäftlichen Angelegenheiten rasche Entscheidungen zu treffen und sich innerhalb von Sekunden für eine andere Strategie zu entscheiden. Weshalb also nicht heute Abend?

„Okay. Ich werde allerdings erst spät hier rauskommen. Vor neun geht es nicht.“ Sie nannte ihm die Adresse ihres Apartments.

„Gut, ich freue mich.“

Nates Offenheit verwirrte sie. Sollten Männer nicht subtiler flirten? Als sie aufgelegt hatte, bemerkte sie erst, wie ihre Hand zitterte. Was zum Teufel war los mit ihr?

Wenn sie ehrlich war, war sie Nate dankbar, dass er sie davor bewahrte, in der Stille ihres Apartments sich nach ihrer fernen Familie zu sehnen. Ganz besonders vermisste sie diesmal ihre neu gewonnene Freundin Julia. Diese hatte den Sommer über auf Mirabel mit Salomés Vaters zusammen seine Memoiren geschrieben. Dort hatte sie auch Salomés Halbbruder Mathieu kennen- und lieben gelernt. Und jetzt waren beide verlobt und erwarteten ein Kind.

Salomé checkte mit einem raschen Blick die Zeit in Europa und wählte Julias Nummer. Ted, der vermutlich noch vor der Tür wartete, würde ihr die paar zusätzlichen Minuten nachsehen. Wem, wenn nicht Julia, konnte sie von ihrem Date mit Nate erzählen? Lustig, wie sich das reimte.

„Zaza, bist du das?“, meldete sich Julia fröhlich. „Ich bin gerade draußen.“

Salomé schloss lächelnd die Augen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihre Freundin vor dem verwunschenen, pflanzenbewachsenen Haus ihres Halbbruders Mathieu stand.

„Julia, ich wollte nur sichergehen, dass mein Bruder Mathieu noch gut zu dir ist.“

Julia lachte freudig auf. „Du willst sicherlich nicht im Detail hören, wie gut er ist, oder?“

Salomé grinste. Sie vermisste das tägliche Herumalbern mit Julia. Salomé hatte sich selten so gut mit einer anderen Frau verstanden. Ihre langjährige Freundin und Mitbewohnerin in New York, Allegra, war in letzter Zeit viel zu wenig da, um zu quatschen. Sie war Ärztin bei „Ärzte ohne Grenzen“ und hielt sich die meiste Zeit in Krisenregionen auf.

Salomé freute sich, dass die Liebe zwischen Mathieu und Julia trotz anfänglicher herber Rückschläge endlich auf der richtigen Spur war. Wenn Liebe so war, wie diese beiden es lebten, konnte Salomé nur neidisch werden.

„Nein, lass mal lieber. Ist alles okay mit dem Baby?“ Julia war im ersten Trimester ihrer Schwangerschaft, und Salomé konnte es kaum erwarten, Tante zu werden.

„Ja, alles super. Mathieu behandelt mich leider wie ein rohes Ei. Das halte ich nicht mehr lange aus.“

Aus Julias frischem Tonfall schloss Salomé, dass ihre Freundin es alles andere als schlimm fand, von Mathieu auf Händen getragen zu werden. Salomé beschloss, ihr brennendes Anliegen loszuwerden.

„Julia, du wirst nicht glauben, wer sich gerade bei mir gemeldet hat!“

„Doch nicht etwa der sexy Schotte?“

Salomé war verwirrt, wie zielsicher Julia ins Schwarze getroffen hatte.

„Doch, genau der. Nate. Er ist in New York.“

„Wow. Der ist aber schnell. Das Fest ist doch gerade mal fünf Tage her. Ich habe dir doch gesagt, der verschwindet nicht so einfach aus deinem Leben. Er hatte ja auch keine Chance, so wie Inès seinen Bruder Colin unter ihre Fittiche genommen hat.“

 

Salomé lächelte. Ihre Mutter Inès hatte den schottischen Künstler Colin Hamilton bei einer Ausstellung in Südfrankreich entdeckt. Inès kehrte, begeistert von dessen ungewöhnlich ausdrucksstarken Bildern, in das Feriendomizil der Familie de Bertrand in Roquebrune zurück und erwarb sogleich eine Handvoll Porträts. Der gut aussehende Künstler hatte es Inès so angetan, dass sie ihn nebst Begleitung spontan zu der großen Geburtstagsfeier ihres Mannes Charles auf das Anwesen einlud.

Colin wählte als Begleitung für das Fest seinen Bruder Nate. Die beiden attraktiven Männer, die statt eines Smokings im schottischen Kilt aufschlugen, ließen die Herzen der weiblichen Gäste kollektiv höherschlagen. Salomé tanzte mit beiden, aber der hochgewachsene Nate umgarnte sie an diesem Abend mit seinem Old-School-Charme. Als es hinter den Kulissen etwas turbulenter wurde – Philippe und ihr Halbbruder Mathieu hatten eine handgreifliche Auseinandersetzung, die fast in einem Unglücksfall endete –, beeindruckte Nate Salomé durch seine pragmatische Hilfe.

Als sie sich bei einem Tanz gerade näherkamen, tauchte Colin leider auf und zog Nate mit dem Hinweis auf die frühe Abreise am nächsten Morgen aus Salomés Armen von der Tanzfläche. Soweit Salomé ihrer champagnerumnebelten Erinnerung trauen konnte, hatte Nate sich mit einem bedauernden Blick von ihr verabschiedet. Er hauchte einen zarten Kuss auf ihre Wange und flüsterte dabei etwas Schottisches in ihr Ohr. Dessen Sinn hatte sich der überrumpelten Salomé erst später erschlossen, als ihr Gehirn die Worte zu einem halbwegs verständlichen Satz aneinanderreihte.

„See ye soon, ma bonnie.“

„Auf bald, meine Schöne.“ Wie meinte er das?

Das aufregende Flirren, das diese Worte in Salomé auslösten, war am nächsten Morgen nur noch eine verschwommene Erinnerung. Dann hielten auch schon die letzten Tage der Sommersaison Salomé davon ab, weiter an Nate zu denken. Mathieu und Julia feierten ihre Verlobung. Ein Abschiedsessen jagte das nächste, und gleichzeitig strukturierte Salomé bereits die ersten Arbeitswochen in ihrem New Yorker Büro vor, die nach ihrer jeweils langen Sommerpause erfahrungsgemäß sehr hektisch würden.

Bei ihrer Abreise umarmte Julia Salomé fest. „Ich wünsche mir für dich, Zaza, dass du dein Glück auch bald findest“, hauchte sie ihr dabei ins Ohr.

Salomé erwiderte die Umarmung und seufzte leise.

„Ist denn da kein Mann in New York, der sich auf dich freut, Zaza?“

„Nein. Wie denn auch? In New York habe ich wegen meines Arbeitspensums keine Zeit für ein richtiges Privatleben.“

„Du und kein Privatleben? Das kann ich mir nicht vorstellen. Die lebensfrohe Zaza, die ich hier in Südfrankreich kennengelernt habe, nimmt jede Möglichkeit mit, sich zu amüsieren.“

„Glaube mir, du würdest die New-York-Zaza nicht wiedererkennen. Vom Leben in New York bekomme ich nur die unzähligen offiziellen Veranstaltungen mit. Aber das gehört eben zum Job. Und die Menschen, die ich auf Galas und Ausstellungseröffnungen kennenlerne, sehe ich meistens nur dort und nie privat. Es ergibt sich einfach nicht, weil alle zeitlich so eingebunden sind. So geht es mir ja selbst auch. Die Leute, mit denen ich privat in New York Kontakt hatte, lassen sich an einer Hand abzählen.“

Julia schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber wie hältst du das aus? Das ist ja wie bei Doktor Jekyll und Mister Hyde. Die zwei Leben der Zaza.“

Zaza lachte laut darüber, wie zielsicher Julia es auf den Punkt brachte. Dann zuckte sie nur die Achseln.

„Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Wenn die langen Sommer in Frankreich mit dem de Bertrand-Clan nicht wären, in denen ich sein kann, wie ich wirklich bin, wäre ich schon durchgedreht.“ Ihr Mund verhärtete sich kurz, dann winkte sie ab. „Aber das ist doch alles Jammern auf hohem Niveau. Schließlich habe ich die Ehre, die Dependance unserer Bank in New York zu leiten und den nordamerikanischen Markt abzudecken. Da muss man privat halt Abstriche machen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Philippe so viele Abstriche macht wie du.“

Salomé verdrehte die Augen beim Gedanken an ihren Bruder.

„Philippe ist ja auch ganz anders als ich. Deshalb darf der ja auch nur den asiatischen Markt machen.“ Sie kicherte, denn Julia wusste, wie gerne Salomé ihren Bruder aufzog und sich nicht verkneifen konnte, ihm unerwünschte Tipps für die Bankgeschäfte in seinem Bereich zu geben.

„Warum nur habe ich das Gefühl, du lenkst vom Thema ab? Sprachen wir nicht über Männer?“

Salomé grinste schief. „Die guten Männer, denen ich mein wahres, wildes Ich offenbaren möchte, sind anscheinend nicht in New York.“

Julia blickte sie fragend an. „Ach – und wo sollen die sein?“

„Och … Vielleicht auf Partys in Südfrankreich?“

Es dauerte nach dieser Bemerkung etwa eine Zehntelsekunde lang, bis Julia begriff, dass Zaza von dem blauäugigen Schotten Nate mehr als angetan war.

„Wart’s nur ab, Zaza. Ich hab da so ein Gefühl, als würdest du den bald wiedersehen.“

Zaza hatte die Achseln gezuckt. „Schön wär’s.“

 

Und jetzt hatte er sich gemeldet.

„Und, trefft ihr euch?“, fragte Julia in ihrer direkten Art.

„Ja, heute Abend. Er ist nur zwei Tage da, und morgen hat er keine Zeit. Wir gehen japanisch essen.“ Salomé versuchte vergeblich, ihre Aufregung vor Julia zu verbergen.

Julia lachte. „Zaza hat ein Date mit Nate! Zaza hat ein Date mit Nate! “, summte sie ausgelassen vor sich hin.

Salomé verdrehte die Augen. Dann hörte sie, wie Julia leise mit jemandem sprach. Das konnte nur ihr Halbbruder Mathieu sein.

„Hallo, Schwesterchen. Was höre ich, du hast also ein Date mit Sexy-Nate?“

Salomé konnte sich leider nicht über die ungewohnt vertrauliche Anrede ihres neuen Halbbruders freuen. Jetzt reichte es aber! So dämlich, wie dieser Satz klang, würde das Rendezvous mit Nate hoffentlich nicht werden.

„Ich muss dann mal wieder mit meinem Portfoliomanager ins Meeting“, unterbrach sie Mathieus Necken. Sein tiefes Lachen schallte aus dem Hörer, bevor Salomé auflegte.

Salomé konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ein aufgeregtes Ziehen machte sich in ihrer Brust breit. Ob Nate noch so beeindruckend sein würde, wie sie ihn an diesem lauschigen Abend auf Mirabel empfunden hatte? Würde sie es für ihn sein?

Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, wie der heutige Abend verlaufen würde. Seit Jahren war sie nicht mehr so aufgeregt vor einer Verabredung gewesen. Aber sie hatte ja auch schon eine Weile kein richtiges Date gehabt. Warum bloß war sie so nervös?

Bevor sie der Frage weiter nachgehen konnte, riss Keira sie aus ihren Träumereien. „Salomé. Ted muss gleich zu einem Meeting. Hast du noch kurz Zeit für ihn?“

„Klar. Schick ihn rein, Keira.“

Den weiteren Nachmittag kam Salomé nicht mehr dazu, über ihr Date mit Nate nachzudenken. Das undefinierbare Gefühl, dass etwas Großes bevorstand, hielt allerdings an.

 

Date mit Nate

 

Die Türen des Hotelaufzugs glitten lautlos auf. Nate rückte nervös sein Basecap tiefer in die Stirn und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Er betrat die Lobby des modernen Hotels, in der nicht das kleinste Detail der Innenarchitektur dem Zufall überlassen worden war. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass der Weg zum polierten, von futuristischen Lampen eines dänischen Designers angestrahlten Rezeptionsdesk, das den Aufzügen gegenüber lag, frei war.

Der Concierge, George, wie Nate anhand des Schildes auf seiner Uniform erkennen konnte, hob den Blick und lächelte ihn erwartungsvoll an.

„Mister Hamilton, was kann ich für Sie tun?“

Nate legte den Zettel mit der Adresse von Salomés Apartment auf den Tresen.

„Können Sie mir bitte ein Taxi rufen, George, das mich zu dieser Adresse bringt?“

„Aber selbstverständlich. Ihre Agentin, Miss Cary, hat bereits einen Fahrer für Sie ausgesucht. Ich gebe ihm sofort Bescheid.“

Ein älteres Paar betrat das Hotel, und durch die sich langsam schließende Tür war das Rufen einer dicht gedrängten Menschenmenge, die den Eingang hinter einer Absperrung belagerte, zu vernehmen. Nate blickte hoch und schüttelte ungläubig den Kopf. Er kramte auch noch die Sonnenbrille aus seiner Jacke, obwohl er gehofft hatte, das würde nicht nötig sein.

„Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein, Mister Hamilton?“, fragte George aufmerksam und blickte ebenfalls Richtung Eingangstür.

Nate räusperte sich. Er war diesen Trubel um seine Person nicht gewöhnt. Seit der Premiere von Highlander-Resurrection war die Hölle um seine Person los. Er hoffte, das würde sich mit der Zeit wieder etwas beruhigen. Nate verzog sein Gesicht, als er daran dachte, sich der Meute zu stellen. Dabei wollte er viel lieber in Ruhe der angenehmen Aufregung in seinem Bauch nachspüren, die das bevorstehende Date mit Salomé bei ihm auslöste.

„Gibt es im Hotel einen Blumenladen?“

„Der Fahrer kann Sie an einem vorbeibringen. Ich schlage vor, Sie verlassen das Hotel durch die Tiefgarage, Mister Hamilton. Ihr Fahrer erwartet Sie dort.“

Dankbar hellten sich Nates Gesichtszüge auf. „Besten Dank, George.“

George nickte wieder freundlich, seine Miene blieb ansonsten aber professionell zurückhaltend. Nate notierte sich innerlich diesen Gesichtsausdruck, falls er jemals die Rolle eines Concierge spielen sollte. Als er sich auf dem Weg in die Garage befand, klingelte sein Smartphone. Im Display war der Name seiner Managerin Cary eingeblendet. Was wollte die jetzt schon wieder? Seufzend nahm Nate ab.

„Hi, Nate. Wie ist die Anprobe gelaufen?“

„Alles okay. Was gibt es?“

„Ich wollte dich nur an die Pressekonferenz morgen früh um neun erinnern. Gegen zwölf mittags gibt es ein Meet & Greet in deinem Hotel mit anschließendem Interview durch einen Reporter der Village Voice, das spätestens um drei Uhr beendet sein dürfte. Deinen Auftritt auf der Charitygala konnte ich, wie gesagt, nicht absagen. Das heißt, der Fahrer holt dich um sieben Uhr im Hotel ab. Auf dem Weg zur Veranstaltung nehmt ihr dann deine Begleiterin für den Abend mit. Wir konnten das neue Amandas Secrets-Model Ivana dafür buchen.“

Nate konnte sich vage an das Gesicht des Models erinnern. „Ivana also. Hmm.“

„Aber du bist der Stargast des Abends und wirst direkt nach der Begrüßungsrede des Veranstalters auf die Bühne gerufen werden. Es werden ein paar Worte von dir erwartet. Ich habe ein Dossier mit Informationen zusammengestellt und dir gerade gemailt. Mach was draus. Und vergiss nicht: immer schön lächeln und mit allen einflussreichen Damen tanzen.“

Nate verzog genervt sein Gesicht. „Das hatten wir doch bereits besprochen, Cary. Danke trotzdem.“

„Ich dachte nur, eine kleine Erinnerung könnte nicht schaden. Und vergiss bitte bei der Pressekonferenz morgen nicht, was wir abgemacht haben. Weiterhin kein Wort über Liz“, erwiderte Cary etwas spitz. „Außerdem möchte ich dich daran erinnern, dass wir kommende Woche nochmals kurz hier sind. Du hast das Fotoshooting mit der Dream-Man und eine Pressekonferenz zu Highlander-Resurrection 2, bevor du zu den Dreharbeiten nach Schottland reist. Und denk daran: Seit vorgestern die Premiere von Highlander-Resurrection so ein riesiger Erfolg war, bist du in eine andere Liga aufgestiegen. Also verhalte dich auch danach.“

Nate seufzte. Sollte sein Leben fortan so weitergehen? Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt.

„Ja, Cary. Ist alles vermerkt. War’s das?“

Cary mit ihren feinen Antennen ließ sich nicht so leicht abschütteln. „Wo bist du, und was machst du heute Abend? Ich dachte, ich komme vorbei, und wir gehen die Drehbücher durch. Welche hast du schon gelesen?“

„Ich gehe aus, Cary. Privat.“ Nate wurde ungeduldig. Er war zwischenzeitlich in der Garage angelangt und nahm in dem wartenden Fahrzeug Platz. Der Fahrer kannte offenbar das Ziel, denn er fuhr ohne weitere Fragen los.

„Denk bitte daran, Nate, dass du morgen fit sein musst. Geh früh schlafen.“

Nate schnaubte. Das wurde ja immer grässlicher. Da hätte er ja gleich bei seiner Mama wohnen bleiben können. Um Cary zu ärgern, verfiel er denn auch in denselben gelangweilten Tonfall, mit dem er seiner nervenden Mutter zu Teeniezeiten begegnet war: „Mach ich, Cary. Gute Nacht.“ Bevor Cary noch etwas einfiel, beendete Nate rasch das Gespräch. Er wandte sich an den Fahrer. „Haben Sie eine Idee, wo ich noch eine rote Rose kaufen kann?“

 

Kurz vor neun meldete der Portier Salomé telefonisch den Besucher.

„Sagen Sie ihm bitte, ich bin gleich unten, Conrad.“

Salomé holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und steckte ihre Ohrringe an.

Sie war später als gedacht aus dem Büro weggekommen und hatte nach einer schnellen Dusche ein Turbostyling hingelegt. Ihr fast schwarzes Haar war noch nicht ganz getrocknet. Sie blies ungeduldig ihren gestuften Pony aus ihrer Stirn. Ihre auffallend hellblauen Augen hatte sie mit sanften braunen Akzenten betont und sich für einen dezenten Lippenstift im Nudeton entschieden.

Ratlos hatte sie vor ihrer Kleidervielfalt gestanden. Was sollte sie tragen? Was war angemessen?

Sie wusste so gar nicht, welcher Typ Nate war und in welche Art von Restaurant er sie heute führen würde. Sie hatte ihn bisher nur in schottischer Tracht gesehen. Der Gedanke an sein muskulöses Bein, das unter dem Kilt hervorgeblitzt hatte, ließ sie unruhig werden.

Salomé, die den ganzen Tag in Business-Klamotten verbringen musste, liebte in ihrer Freizeit einen unauffälligen, bequemen Look. Ihre Abendgarderobe für die amerikanischen Veranstaltungen war eher konservativ. Nur in Frankreich gönnte sie sich kleine Extravaganzen. Beim Fest ihres Vaters hatte Nate sie in einem rosafarbenen Hauch von Dior erlebt. Was sollte sie nur für das Date mit Nate anziehen?

Wieder hatte sie über den Reim schmunzelnd das Gesicht verzogen und sich kurzentschlossen entschieden.

Sie unterzog sich einem letzten prüfenden Blick im Spiegel. Der auffällige Gürtel, den sie zum kleinen Schwarzen gewählt hatte, peppte dessen dunklen Look auf. Salomé schlüpfte in schwarze Pumps und warf sich eine leichte Kaschmirstola über, bevor sie sich mit starkem Herzklopfen auf den Weg in die Lobby machte.

Conrad begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. Er hatte einen Narren an der bezaubernden Schweizerin gefressen, insbesondere seit sie ihm jährlich aus ihrem Sommerurlaub in Frankreich einen Korb voller Delikatessen mitbrachte.

„Ah, Miss de Bertrand ...“

Salomé liebte es, wie amerikanisch er ihren französischen Nachnamen aussprach.

„… ich habe heute die Zitronencreme probiert. Einfach köstlich.“

Salomé lachte ihn an und sah sich dann aufgeregt um. Sie runzelte verwirrt die Stirn. Von der Sitzgruppe im Empfangsbereich erhob sich ein Mann in Jeans und Lederjacke , dessen Gesicht unter der tief ins Gesicht gezogenen Basecap und der Sonnenbrille kaum zu erkennen war. War das etwa Nate?

Während er auf sie zukam, nahm er die Brille und die Kappe ab, und Salomé blickte in strahlende Augen über dem breit grinsenden Mund.

Das war unverkennbar der Nate, mit dem sie in Südfrankreich den Abend über geflirtet hatte. Er war noch attraktiver, als sie ihn in Erinnerung hatte. Dunkelblonde Locken fielen in seine Stirn. Eine Strähne reichte bis an die hohen Wangenknochen. Ein charmantes Grübchen am Kinn lenkte von der ein wenig zu großen Nase ab. Am meisten fesselte Salomé sein ausgeprägter Mund, bei dem feine Linien darauf schließen ließen, wie gerne dieser Mann lachte.

Er trat dicht vor sie und strahlte eine unglaublich männliche Präsenz aus. Salomés spürte unvermittelt Verlangen in ihr aufsteigen. Sie erkannte sich kaum wieder. Es war erstaunlich, welche tief in ihr verborgen geglaubten Seiten dieser Mann zum Leben erweckte. Allein seine Nähe ließ ihre Gedanken in ihr Schlafzimmer wandern. Wie konnte das sein? Sie hatte ihn erst ein einziges Mal gesehen, und doch reagierte ihr Körper mit einer Intensität auf seine Männlichkeit, dass sie nervös wurde. Sie musste sich zusammenreißen, äußerlich gelassen zu bleiben.

„Hi“, krächzte sie und räusperte sich sogleich, um ihre Stimme zu klären.

„Hallo, Schönheit.“ Er neigte sich vor und küsste sie auf französische Art auf beide Wangen.

Salomé wallte ein Hauch seines herben Rasierwassers in die Nase. Er überreichte ihr eine rote Rose. Sie grinste gerührt. Wie schön altmodisch er war. „Ich habe dich kaum erkannt, so ohne Kilt.“

Nates Lächeln vertiefte sich. „Aye, Tracht erschien mir dann doch etwas übertrieben für ein japanisches Restaurant.“ Mit einem Blick auf den neugierig zu ihnen hin schielenden Conrad fügte er hinzu: „Lass uns los. Unser Wagen wartet draußen.“

Er hielt ihr seine Hand hin, die sie wie selbstverständlich ergriff. Seine Finger waren warm und seltsam vertraut. Salomé bat Conrad, die Rose zu versorgen und folgte ihm.

Bevor sie das Haus verließen, setzte er sich zu Salomés Erstaunen wieder die Brille und die Kappe auf und schlug seinen Kragen hoch. Während er vorsichtig nach links und rechts spähte, zog er Salomé eilig zu dem wartenden Fahrzeug. Als sie auf der Rückbank saßen, stieß Nate erleichtert seinen Atem aus. Salomé schmunzelte. Er bemerkte ihre Reaktion.

„Glaub mir, es ist nicht einfach, berühmt zu sein.“

Salomé entfuhr ein Kichern. Sie hatte bereits auf dem Fest seinen Humor bemerkt. „Oh, ja! Als Bruder von Colin Hamilton hat man sicher einige Spießrutenläufe zwischen Paparazzi zu bewältigen“, erwiderte sie vergnügt.

Er starrte sie mit offenem Mund an und fuhr sich dann seufzend über sein Kinn. Dabei murmelte er irgendetwas Schottisches vor sich hin.

„Aber mal im Ernst, was soll die Maskerade? Wirst du verfolgt?“

„So kann man es nennen, ja.“

Als er keine weiteren Erklärungen abgab, ließ Salomé das Thema fallen. Sie genoss es, mit ihm durch das nächtliche New York zu fahren, entlang der gigantischen Wolkenkratzer, von denen hier unten nur die imposanten Eingänge in Chrom und Stahl zu sehen waren. Der unablässige Strom von Menschen, die an den Fußgängerampeln zu einem ungeduldigen Halt gezwungen waren, der krasse Gegensatz von extrovertierten Nachtvögeln und armen Schluckern – das alles rauschte an ihnen vorbei, während er immer noch ihre Hand hielt und offenkundig auch nicht vorhatte, diese loszulassen.

Erstaunlicherweise fühlte sich die Berührung vertraut an. Sein Daumen strich sanft über ihren Handrücken und sandte von dort flirrende Signale ihren Arm hoch. Sie sprachen wenig. Seine ungewohnte Nähe überschwemmte Salomés Sinne mit Eindrücken: sein würziger Geruch nach einem herben Rasierwasser und seiner Lederjacke. Wie konnte es sein, dass die Wärme, die seine bloße Präsenz ausstrahlte, die Härchen an ihrem Unterarm zu einer Gänsehaut aufstellte?

Salomé nahm jedes Detail glasklar wahr. Die vorbeiziehenden Straßenszenen, der kurz rasierte Nacken des Chauffeurs, eine Fluse auf der Kopfstütze vor ihr. Schon wieder war sie verwirrt darüber, was nur mit ihr los war. Das war ein Date und nichts weiter. Sie war kein Backfisch und auch keine Jungfrau mehr. Bleib cool, Zaza, ermahnte sie sich selbst.

Allzu bald stoppte der Wagen, und wenig später folgte Salomé Nate in ein unscheinbares Lokal, das auf den ersten Blick einen geschlossenen Eindruck machte. Sie schienen die einzigen Gäste zu sein. Nachdenklich blickte sie sich in dem leeren Raum um.

„Bist du sicher, dass die geöffnet haben?“

„Aber ja doch.“

Im selben Moment näherte sich ihnen ein freundlicher junger Mann japanischer Herkunft. „Guten Abend, Mister Hamilton. Es ist mir eine Ehre.“ Neugierig betrachtete er Salomé und begrüßte auch sie freundlich. „Folgen Sie mir, bitte.“

Er führte sie an einen gedeckten Tisch im hinteren Teil des Lokals und rückte Salomés Stuhl zurecht. Als er gegangen war, um die Getränke zu holen, neigte Salomé sich vor.

„Nate, kennst du den Laden hier? Ich meine ja nur, das ist in New York kein gutes Zeichen, wenn wir die einzigen Gäste sind“, flüsterte sie ihm zu.

Nate grinste. „Keine Sorge, Zaza, ich habe alles unter Kontrolle.“

Bei seinen Worten zog Salomé die Brauen hoch. Da er sie aber weiterhin mit unerschütterlichem Selbstvertrauen anblickte, verbiss sie sich jeden weiteren Kommentar und legte die Serviette auf ihren Schoß.

„Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich bereits bestellt habe. Es gibt ein hervorragendes Kyoto-Menü.“

Salomé nickte zustimmend. Zu ihrem Erstaunen war der erste Gang köstlich. Sie konnte nun noch weniger verstehen, weshalb der Laden nicht vollgepackt mit Gästen war.

Nate hatte sie beobachtet und prostete ihr lächelnd zu. Das Funkeln in seinen Augen ließ sie einen kurzen Augenblick die Fassung verlieren. Sie spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Krampfhaft suchte sie nach einem Gesprächsthema, das sie von der Hitze ablenkte, die in ihre Wangen stieg. Nervös nippte sie an ihrem vorzüglichen Wein.

„Weshalb bist du in New York?“, begann Salomé das behutsame Ausfragen, das ihr hoffentlich mehr über diesen aufregenden Date-Nate offenbaren würde.

„Ich habe beruflich hier zu tun“, antwortete er kryptisch.

Aha. Anscheinend liefen die „beruflichen Unternehmungen“ nicht so erfolgreich, sonst würde er doch offener darüber berichten.

„Bist du auch Maler wie dein Bruder Colin?“, fragte Salomé.

Nate wollte gerade die Stäbchen zum Mund führen und hielt inne. „Maler? Nein.“

„Es reicht ja auch, wenn einer in der Familie berühmt und erfolgreich ist“, stichelte Salomé.

Nates Augen weiteten sich. „Da hast du wohl recht, Zaza.“ Vergnügt tunkte er ein Sashimi in die hauseigene Sojasoße.

„Nate, ist dein Job so schlimm, dass du nicht darüber sprechen kannst? Was ist so schwierig daran, mir zu sagen, was du machst?“ Ungeduldig blickte Salomé ihn an.

„Nichts ist schlimm daran.“ Nate zuckte unschuldig die Schultern. „Ich bin Schauspieler.“

Salomé blickte ihn interessiert an. Schauspieler also. Das Aussehen dafür hatte er auf jeden Fall. Vielleicht trat er am Broadway auf? „Und an welchem Theater spielst du?“

Nate verschluckte sich an dem Schluck Sake, den er gerade aus einem der filigranen Schälchen schlürfte. „Meine Theaterzeit liegt schon einige Jahre zurück. Ich bin eher Filmschauspieler.“

Salomé war immer noch nicht zufrieden. „Und kenne ich einen Film, in dem du mitgespielt hast?“

Nate musterte sie und rieb sich sein Kinn. „Wie es scheint … nicht, Zaza.“

 

 

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