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LESEPROBE „MÄDCHENNAME“

Küsse auf Mirabel

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High Net Worth Individual

„Vielleicht heirate ich ja auch einen Millionär?“ Julia Sandhagen schob ihren leeren Teller zur Seite und strahlte ihre Freundin Stella Stern an.Stella grinste. „Mach ruhig. Solange du mich auf deine Yacht einlädst, erlaube ich dir das.“ Sie freute sich, dass Julias anfängliche Trauer weg war. „Nun lies schon vor, was das für ein geheimnisvoller Job sein soll!“Julia hob theatralisch die Brauen und las die Anzeige vor:

 

Für einen langjährigen Kunden suchen wir zur Ergänzung des Teams auf einem Anwesen an der Côte d‘Azur im Zeitraum Juni bis August ein Personal Assistant, der/die auch eine zeitlich überschaubare Betreuung eines distinguierten älteren Herrn mit vorübergehender Immobilität übernimmt. Erfahrung aus der Assistenz von High Net Worth Individuals ist wünschenswert. Weiteres Personal für Reinigung, Garten etc. sind vorhanden. Die gut dotierte Position bietet sehr angenehme Arbeitsbedingungen bei erstklassiger Kost und Logis. Umfang ca. 30 Stunden bei einer 5-Tage-Woche.Bei Interesse und Qualifikation senden Sie uns bitte Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen.

 

Julia ließ den Zeitungsausschnitt sinken. „Das ist nicht dein Ernst, Julia?“ Stella schaute sie ungläubig an. „Du bist doch Juristin! Und was um Himmels willen ist denn dieses High Net Dingsda überhaupt? Hört sich pervers an.“ Julia verdrehte die Augen. „Es heißt ‚High Net Worth Individual’. Das ist ein anderes Wort für Millionäre. Aber ich gestehe, ich musste das auch erst googeln.“ Schmunzelnd faltete Julia die Seite mit der Stellenanzeige wieder zusammen und steckte sie in ihre Handtasche. Stella kratzte nachdenklich den Milchschaum aus ihrer Cappuccinotasse. Ihr gemeinsamer Lunch im Kölner Café Alcazar war schon beendet, und sie hätte eigentlich wieder in ihre psychotherapeutische Praxis gemusst, die sie zusammen mit ihrem schwulen Sandkastenfreund Bernd im Belgischen Viertel in Köln betrieb. Aber der unwirtliche Nieselregen vor den Fenstern, der den Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite verschleierte, hielt sie beide auf ihren Plätzen, und sie hatten sich lieber noch einen Kaffee bestellt. Stella betrachtete ihre beste Freundin genauer. Sie hatten sich seit Monaten nicht mehr gesehen. Ihr gemeinsamer Trip in ein Wellnesshotel auf Elba lag über zwei Jahre zurück. Mehrfach hatte Julia Treffen mit ihr aus fadenscheinigen Gründen abgesagt, was Stella sehr verwundert hatte. Sie selbst, frisch verheiratet mit Steven und mit Kleinkind und Praxis viel um die Ohren, hatte sich sogar ein Wochenende freischaufeln können, um Julia in Zürich zu besuchen. Aber Julia hatte drei Tage vorher wegen eines angeblichen Fristenablaufs bei einem wichtigen Rechtsstreit abgesagt. Ein Ersatztermin war nie Thema gewesen. So war es gekommen, dass sie sich seit Stellas Hochzeit letzten Oktober, also ganze sechs Monate, nicht getroffen hatten. Aus heiterem Himmel hatte sich Julia aber gestern gemeldet und darum gebeten, ab dem nächsten Tag bei Stella unterzukommen.

 

Vor Freude war Stella mit ihrem glucksenden Töchterlein durch die Wohnung getanzt. Steven hatte angeboten, Antonia von der Krippe abzuholen, damit sie nach Julias Ankunft in Ruhe lunchen könnten. Stella hatte bereits seit einiger Zeit aus der Ferne die Entwicklung ihrer Freundin kritisch beobachtet. Ihr war aufgefallen, dass Julia trotz oder gerade wegen der vermeintlich blendenden Karriere immer weniger Zeit für die schönen Dinge des Lebens zu bleiben schien. Julia sah mitgenommen aus, obwohl sie nach Stellas Auffassung mit Überschreiten der dreißig an Attraktivität gewonnen hatte. Vor einem knappen Jahr, zu ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, hatte sich ihre Freundin von ihrem langen dunkelblonden Haar getrennt und sich einen Bob schneiden lassen. Zum Glück waren die wunderschönen vollen Haare inzwischen wieder gewachsen. Feine Lachfältchen um Mund und Lider unterstrichen die intelligent blickenden grauen Augen Julias. Ihr in Teenagerzeiten recht extravagantes Outfit war einem dezenteren Stil gewichen. Dies hatte auch mit ihrer beruflichen Entwicklung als Justiziarin in einem großen Schweizer Energiekonzern und ihrer Beziehung mit dem erfolgreichen Partner einer internationalen Großkanzlei zu tun. Marcus Sowieso – seinen Nachnamen konnte sich Stella noch nie merken. Julia war vor vier Jahren der Liebe wegen in die Schweiz gezogen und dort geblieben. Stella hatte ihre Freundin in Köln seitdem schmerzlich vermisst. Bereits bei der Begrüßung war Stella der unbekannt herbe Zug um Julias Mund aufgefallen. Noch bevor der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte, war es aus Julia herausgesprudelt. „Stella, es tut mir so leid, dass ich in letzter Zeit so furchtbar war.“ „Furchtbar? Ich würde es eher als abwesend bezeichnen.“ „Ja, ich weiß. Es lag allein an mir. Ich würde es ja gerne auf die Arbeit schieben. Oder auf Marcus ...“ Julia runzelte bei der Erwähnung ihres Freundes derart die Stirn, dass Stella bereits ahnte, was jetzt anstand. Sie ergriff in einer tröstenden Geste Julias Hand. Diese räusperte einen Kloß in ihrem Hals fort. „Wie du dir schon denken kannst … ich habe Marcus verlassen. Es ging einfach nicht mehr.“ Stella, die dem konservativen Marcus noch nie etwas hatte abgewinnen können, schwieg. Julia hatte während eines Praktikums in Zürich diesen in ihren Augen wunderbaren Mann getroffen. Hals über Kopf brach sie ihre Zelte in Köln ab und zog zu ihm nach Zürich. Schon bald stellte sich heraus, dass Marcus ein sehr „einnehmendes“ Wesen hatte. Als Stella Julia auf Marcus’ krankhafte Eifersucht ansprach, zuckte diese nur mit den Schultern und behauptete: „Er liebt mich eben sehr.“ Die wenigen Male, die Stella Marcus erlebte, schürten in ihr jedoch Zweifel daran, Marcus könnte jemand anderen als sich selbst lieben. Ihrer Freundin Julia zuliebe, die so glücklich schien, hatte sich Stella jedoch jeglichen Kommentar verboten. Bevor Stella mit Steven zusammengekommen war, war sie ohnehin keine gute Adresse als Ratgeber in Beziehungsfragen gewesen – zumindest im privaten Umfeld. Mit einer kleinen Prise Genugtuung stellte sie jetzt fest, dass ihr damaliger Instinkt sie anscheinend nicht getrogen hatte. Julia stöhnte nur. „Vier verlorene Jahre. Vier!“ Sie vergrub kopfschüttelnd ihr Gesicht in den Händen. „Kannst du dir vorstellen, dass wir sogar eine Weile lang erfolglos versucht haben, ein Kind zu zeugen?“ Stella schaute erstaunt zu ihr hin. „Aber ich dachte, ihr hättet das Thema fallen gelassen? Ihr seid doch noch nicht mal verheiratet gewesen.“ Im selben Moment, in dem sie diese naiven Worte ausgesprochen hatte, schüttelte sie über sich selbst den Kopf, schließlich war sie auch schwanger geworden, bevor sie Steven geheiratet hatte. Wenigstens führte diese Aktion bei Julia zu einer kurzen Erheiterung. „Ich weiß, warum du das fragst. Weil man bei einem Typen wie Marcus einfach erwartet, dass die Eheschließung vor der Zeugung erfolgt. Ganz traditionell. “Stella nickte, während Julia verbittert aus dem Fenster in den trüben Nebel starrte und an ihrer Unterlippe nagte. „Er hat doch tatsächlich gesagt, er wollte erst mal sehen, ob ich überhaupt fruchtbar bin, bevor er mir seinen Namen gibt“, flüsterte Julia, den Blick immer noch im Nirgendwo. Stella konnte sich ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. Julia wandte sich ihr zu, ihren ansonsten schönen Mund zu einer Linie verkniffen. „Es ist alles meine eigene Schuld. Ich habe mir das viel zu lange gefallen lassen. Wer hätte gedacht, dass meine Sehnsucht nach einem Mann in meinem Leben so groß ist, dass ich mich über Jahre so demütigen lasse? Und dann noch von einem solchen Idioten! Aber damit ist jetzt Schluss!“ Rigoros hatte sie einen Schluck aus ihrem Wasserglas genommen. In diesem Moment hatte der Kellner das Essen gebracht. Wie um ihren neu gewonnenen Aktionismus zu unterstreichen, hatte Julia energisch ihr Spargelrisotto aufgegabelt. „Und du hast ihn jetzt abgesägt?“, fragte Stella nach. „Genau, nachdem er meine Eier mit vertrockneten Pflaumen verglichen hatte, war meine Schmerzgrenze erreicht.“ „Wie bitte? Was hat er?“ Stella ließ fassungslos die Gabel sinken. Da brach Julia in schallendes Gelächter aus, sodass die älteren Herrschaften am Nachbartisch leicht irritiert herüberblickten. „Ja, stell dir vor! So ein Idiot!“ Stella freute sich, wie in diesem Moment die alte Julia, die sich zu Zeiten vor Marcus souverän und selbstbewusst durchs Leben bewegt hatte, wieder durchschimmerte. Dann fragte sie kauend: „Und wo wohnst du jetzt? Warum hast du mich nicht früher angerufen?“ Als sie ihre Freundin in Marcus’ Penthouse in der noblen Zürcher City zum ersten Mal besucht hatte, konnte sie zwischen dem maskulinen Chrom-Stahl-Ambiente außer einem antiken Stuhl, den Julia aus ihrer Altbauwohnung in Köln mitgenommen hatte, keine weiteren Spuren von Julias altem Leben entdecken. Julia verzog ihr Gesicht. „Erst war ich eine Woche bei meinen Eltern. Das hat mich allerdings noch mehr Nerven gekostet, weil mein Vater überhaupt nicht verstehen konnte, weshalb ich einen so guten Fang wie Marcus einfach sausen lasse. Ich wollte dich nicht stören, weil ich weiß, du hast grad selbst so viel um die Ohren mit Praxis und Kind.“ „Spinnst du? Du bist meine beste Freundin! Für dich habe ich immer Zeit und Platz. Insbesondere, wenn du Kummer hast und nicht weißt, wohin.“ Julia sah Stella nur vielsagend an und holte aus ihrer Handtasche ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. „Das ist lieb von dir. Ich habe aber eine viel bessere Lösung. In Kürze bin ich weg. Ich verbringe diesen Sommer in Südfrankreich.“ Julia wedelte mit dem Stück Papier vor Stellas Nase herum. „Weg? Was meinst du?“Julia holte tief Luft. Sie entfaltete das Blatt, und Stella erkannte eine Zeitungsseite, augenscheinlich eine Stellenanzeige. „Ich habe mich auf diese Stelle hier beworben und sie – warum auch immer – bekommen. Ich werde also den Sommer an der Côte d’Azur verbringen.“ Jetzt vergnügt, blitzte Julia Stella an und tippte auf eine Anzeige an exponierter Stelle in eleganter Schrifttype. Stella blieb der Mund offen stehen. Sie hatte tausend Fragen. „Und dein Job? Und danach? Was ist das überhaupt für ein Job?“ Julia neigte sich vor. „Mein Job in Zürich war sowieso furchtbar. Den hätte ich, genau wie Marcus, schon längst schmeißen sollen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es mir gegen den Strich ging, mich nur noch mit Strom und Gas, Kilowatt und Netzbetreibern zu beschäftigen. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Vielleicht heirate ich ja auch einen Millionär?“ Und dann hatte Julia Stella die geheimnisvolle Stellenanzeige vorgelesen.

Nachdem sie noch eine Weile in den Möglichkeiten, die ein solcher Sommer für Julia barg, geschwelgt hatten, hielt Stella plötzlich inne.

„Du weißt aber schon, dass du dir für dieses Abenteuer eine ordentliche Garderobe zulegen musst, oder?“

„Aber ich habe doch eine ordentliche Garderobe!“

Stella rollte die Augen. „Ja, klar, du hast deine Anwältinnen-Outfits. Aber das meine ich doch gar nicht.“  Julia blickte Stella stirnrunzelnd an. „Jetzt denk doch mal nach, Julia! Du wirst in Südfrankreich sein. Mit Superreichen. Klingelt es? Cocktailpartys, Yachtausflüge, Golf-Events ...“

„Oh Gott, du hast recht!“, fiel es Julia offenbar wie Schuppen von den Augen. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Meinst du, ich muss mit den Leuten dann überall hin? Was muss ich mir denn da alles anschaffen …?“ Sie schaute Stella nachdenklich an.

Um Stellas Mundwinkel spielte bereits ein verschmitztes Lächeln. „Ich glaub, ich hab da bereits eine Idee“, sagte sie und zückte ihr Handy ...

 

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